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Sommer 2014

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Tutziputz's avatar
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Was für hübsche Grübchen, dachte Tobias, als das Mädchen neben ihm in Gelächter ausbrach. Dabei war seine Anekdote bestenfalls mäßig witzig gewesen, und doch hatte sie die schwarzhaarige Schönheit zum Lachen gebracht.

Sie hieß Sarah, wie er inzwischen erfahren hatte. Sie war Kunststudentin im 6. Semester und schien über einen wunderbar subtilen Humor zu verfügen. Ein seltsam warmes Gefühl durchströmte ihn, als sie ihn mit ihren großen dunklen Augen direkt ansah.

„Und? Wie ging es weiter?“, wollte sie wissen.
„Na ja, der Prof war ein wenig sprachlos. Aber dann …“
„Er hat dich rausgeworfen?“
„Nein“, Tobias grinste. „Er hat mich gefragt, ob ich schon wüsste, bei wem ich promovieren wollte. Er wäre an jedem interessiert, der ein Gehirn hat … und Courage. Und ich hätte ja wohl beides.“

Sarah war verblüfft. „Er hat dir eine Dissertationsstelle angeboten? Professor Dehmer hat dir eine Stelle angeboten? Ich kenne ihn aus Kunstgeschichte. Er ist doch die Koryphäe hier. Und er nimmt nur die Allerbesten.“
Dabei blickte sie ihn so bewundernd an, dass Tobias spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss.

„Danke für die Blumen“, lächelte er ein wenig verlegen. Fast hatte er vergessen, wie es sich anfühlte, mit einem nicht nur hübschen, sondern auch ausgesprochen geistreichen Mädchen zu flirten. Die letzten zwei Jahre hatte er sich ganz und gar in seine Dissertation gestürzt. Es war ein ehrgeiziges Werk über die Entwicklung der Landschaftsmalerei in der Renaissance. Aber es hatte sich gelohnt, noch vor Abgabe seiner Arbeit war ihm eine hochinteressante Stelle in einer Forschungskooperation mehrerer renommierter Wissenschaftler aus Florenz, Rom, München und Bonn angeboten worden.

Aber das hatte seinen Preis gehabt. Seit seine langjährige Freundin Petra ihn mit seinem besten Freund betrogen hatte, war er mit keiner einzigen Frau mehr zusammen gewesen. Er war jedem weiblichen Wesen aus dem Weg gegangen, hatte jeden der durchaus zahlreichen Versuche einer Annäherung abgeblockt und sich ganz in seiner Arbeit verkrochen – bis vor einer Stunde, als ihn dieses charmante Geschöpf gefragt hatte, ob der Platz neben ihm noch frei wäre.  

Überrascht hatte er aufgesehen. Das kleine Café, in dem er saß, war tatsächlich beinahe bis auf den letzten Platz belegt gewesen. Resignierend hatte er genickt, und sie hatte sich gesetzt. Und dann hatte sie ihn angeblickt und nach dem Buch gefragt, das er in den Händen hielt …

Ihre Bewunderung tat ihm gut, was ihn innerlich lächeln ließ.
Tja, welcher Mann wäre wohl nicht geschmeichelt, wenn er von einem derart attraktiven Mädchen angehimmelt würde, dachte er amüsiert. Aber trotz allem war ihm die Situation auch ein wenig unangenehm. Er wollte nicht als Angeber erscheinen, wollte die Achtung dieses Mädchens nicht nur auf Grund seiner Erfolge im Studium gewinnen.

Also lenkte er das Gespräch wieder auf andere – unverfänglichere – Inhalte, bis sie beinahe zwangsläufig zu dem Thema kamen, das die Gemüter während der letzten Wochen mehr bewegt hatte, als alles andere: Die Fußballweltmeisterschaft.

Mit einem Mal blickte Sarah auf und sah ihm direkt in die Augen.
„Ich wollte mich heute Abend übrigens mit ein paar Freundinnen treffen. Zum Public Viewing auf dem Beethovenplatz. Du hast nicht zufällig Lust, auch zu kommen?“
„Ich …“, Tobias zögerte. Sarahs unvermittelte Einladung hatte ihm die Sprache verschlagen. „Eigentlich … ich …“
„Ach, komm schon“, quengelte das Mädchen. Und plötzlich lächelte sie ihn kokett an.
„Wenn Deutschland gewinnt, gebe ich dir auch einen Kuss!“

Ihre Augen blitzten neckisch. Sie sah so charmant aus, dass Tobias einfach nicht anders konnte.
„Nur einen?“ Die Frage war heraus, bevor sein Gehirn auch nur die leiseste Chance hatte zu registrieren, was er da soeben gesagt hatte.

Das Mädchen zog die rechte Augenbraue hoch, doch dann sie ließ sich auf seine schon ein wenig dreiste Erwiderung ein.
„Na gut“, meinte sie und lächelte. „Sagen wir, einen Kuss für jedes Tor der deutschen Mannschaft. Aber nur, wenn du pünktlich bist. Um acht Uhr an der Treppe des alten Rathauses!“

Tobias wollte antworten, aber mit einem Mal war seine Kehle wie zugeschnürt. Also nickte er nur.
„Dann ist es abgemacht?“, fragte Sarah.
„Acht Uhr am alten Rathaus“, brachte er schließlich mühsam heraus.
„Schön“, freute sich das Mädchen. „Ich muss dann auch mal los. Aber wir sehen uns ja heute Abend.“

Erneut konnte Tobias nur nicken. Erst als Sarah aufstand und nach ihrer Handtasche griff, fand er seine Sprache wieder.
„Es war ein schöner Nachmittag“, sagte er, wobei er sich darüber ärgerte, wie steif und förmlich seine Stimme plötzlich klang. Doch die hübsche Studentin schien das gar nicht zu bemerken.
„Das fand ich auch“, meinte sie. Dann warf sie ihm eine kurze Kusshand zu. „Als kleiner Vorgeschmack.“

Noch bevor Tobias etwas erwidern konnte, drehte sie sich um. Wenige Augenblicke später hatte sie das Café verlassen und ließ ihn mit einem sehr seltsamen Gefühl in der Magengegend zurück. Er brauchte einige Zeit, bis ihm klar wurde, dass es Schmetterlinge waren, die unkontrolliert in seinem Bauch umherflatterten. Doch wie war das möglich? Konnte es sein, dass man sich so schnell verliebt?

Mach dir keine allzu großen Hoffnungen, schalt er sich selbst. Und seine Bedenken waren zweifellos nicht unberechtigt. So war kaum zu erwarten, dass er an diesem Abend allzu viele Küsse bekommen würde. Denn heute Abend spielte Deutschland gegen den großen Favoriten. Heute Abend spielte Deutschland gegen Brasilien …
Nachdem ich mit der Grauen Maus ja schon einmal eine Kurzgeschichte zu einer Weltmeisterschaft geschrieben habe, musste ich - bekennender Nicht-Fußballfan - nun auch ein kleines Werk zur aktuellen WM verfassen. Aber wer mich kennt, wird sich nicht wundern, dass der Fußball hier ebenso wenig im Mittelpunkt steht, wie bei der der Geschichte von Florian und Melanie alias der Graue Maus. :)

Ach ja, und hier treffen wir auch Sarah wieder, deren Leben sich nach den wenig glücklichen Erlebnissen mit dem wilden Hengst vielleicht doch wieder zum Besseren wenden könnte ... :woohoo:
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DeniseLaMaya's avatar
schön, noch dazu nach dem ergebniss :-)
alltag, kann so herzerfrischend sein.